Kontrapunkte

Diese Kolumne steht für Interviews, zum Anhören von Meinungen und zum Vorschlagen von Debatten von musikalischen Themen zur Verfügung, d.h. zur Didaktik, zur sozialen Rolle der Lehrer*innen, zur Unterstützung der Provinz im Bereich der Musik, zur Volksmusik der Alpenraum, und zu anderen Themen von gemeinsamen Interesse.

Die Beitrage werden von Lehrer*innen der Musikschule veröffentlicht, aber auch die Schüler*innen der Musikschule sind eingeladen, ihre Schriften vorzuschlagen. Die Beiträge sollen Mauro Franceschi, dem Herausgeber der Kolumne, an die folgende Adresse geschickt werden: Mauro.Franceschi@provincia.bz.it.

An einen paläolithischen Musiker (ca. 38.354-38337 vor unserer Zeit).

Wenn man in Eure Karststeinhöhle mit etwa 6.000 Kubikmeter tritt, dann bleibt nämlich erst Mal die Spucke weg. Euch ist es wohl ähnlich ergangen. Von Manuela Kerer.

Manuela Kerer - foto di Roland Renner (particolare)
Manuela Kerer - foto di Roland Renner (particolare)

Manuela Kerer è nata nel 1980 a Bressanone. Ha studiato composizione, violino, psicologia e giurisprudenza, a Innsbruck e Milano. Ha composto per piccole e grandi formazioni. La sua musica è stata eseguita anche a “Klangspuren Schwaz”, “International Festival for Contemporary Music” di Mosca, “Tiroler Festspielen Erl”, “Neuen Oper Frankfurt”, “Kampnagel Hamburg”, “Radialsystem Berlin”, “Accademia Filarmonica Romana”, e pure sulle sponde del lago Titicaca. Le abbiamo chiesto se poteva offrirci un suo contributo per la rubrica “Contrappunti”. Ci ha gentilmente inviato questo suo testo inedito.


An einen paläolithischen Musiker (ca. 38.354-38337 vor unserer Zeit)

Bummbummkrachziepknirsch. Primitiv, ich weiß. Knirschächzboingknarr. Auch nicht besser. Aber was soll ich Dir sagen? So in etwa meinen die, dass Deine Musik geklungen hat. Ungeordneter Krach. Ja, ich weiß, die spinnen. Keine Phantasie mehr. Oder nie gehabt. Erstes Auftreten von Komposition um 900 n. Chr. Argumentiert wird, dass das der Zeitpunkt sei, seit dem es eine schriftliche Überlieferung der europäisch-abendländischen Mehrstimmigkeit gibt (gut, das stimmt ja wenigstens ungefähr). Nicht aufregen, das sind wirklich die extremsten. Einige gestehen wenigstens den Ägyptern, Griechen und Römern zu, dass sie komponiert haben.

Wenn man in Eure Karststeinhöhle mit etwa 6.000 Kubikmeter tritt, dann bleibt nämlich erst Mal die Spucke weg. Euch ist es wohl ähnlich ergangen. Die Dimension dieses Raumes ist beeindruckend, aber noch lange nichts gegen seine Akustik. Das Echo, wenn man hineinruft! Es ist wie ein warmes Fell, das sich um einen schmiegt. Nein, eigentlich besser. Wie der Geruch eines Welpen. Wie bunt. Wie ausgeschlafen aufwachen: eigentlich unbeschreibbar. Nicht umsonst hat man hier Deine Flöte gefunden, das älteste Instrument der (heutigen) Welt. Aus der Speiche eines Gänsegeiers entwickelt, mit fünf perfekt geschnitzten Fingerlöchern und zwei tiefen, V-förmigen Kerben als Anblasende, Respekt! Dabei wart Ihr wohl nur auf der Durchreise und seid bei Eurer Wanderung entlang der Donau aufwärts hier angekommen. Seid Ihr dann wieder weitergezogen? Man fand nämlich Eure Knochen hier nirgendwo.

Dieser Ort hat Dich jedenfalls fasziniert. Vielleicht war es Eure Kultstätte, schließlich hat man auch Eure Skulpturen hier gefunden. Herrlich, die Venus! (Aber eins sag’ ich Dir: Du würdest Dich wundern, welcher Körperumfang heute als schön gilt!) Vielleicht habt Ihr Musiker Euch hier zu Jam-Sessions getroffen, Feiern musikalisch umrahmt und inszeniert. Oder Ihr habt hier riesige Partys gefeiert, nächtelang getanzt! Ich traue Euch ja alles zu, weil so viel anders als wir wart Ihr nicht: Auch Ihr wolltet Euch amüsieren, unter anderem mit Musik! Ich glaub’ Ihr werdet von uns heute oft unterschätzt. Dafür versucht man aber einiges, um Euch zu verstehen. Weißt Du, dass sie eine jüngere Flöte, die man vor Deiner fand, identisch nachgebaut hat? Die war zwar nur dreilöchrig, aber man hört anhand der Nachbildung, dass mit dieser historischen Flöte vier Grundtöne und drei Obertöne möglich waren! Deine hat ja einen größeren Durchmesser und außerdem fünf Löcher, dürfte also noch tiefer geklungen haben. Stell ich mir echt toll in der Höhle vor! Da hattet ihr ein ordentliches Spektrum an Tönen. Natürlich habt Ihr Eure Stimmen eingesetzt und begnadete Body-Percussionisten wart Ihr sicher auch! Bei einer so großen musikalischen Auswahl muss jemand Ordnung geschaffen haben. Ich tippe auf Dich. Wie Du die Ordnung festgelegt hast, möchte ich extrem gern wissen. Ich wäre auch gern bei einer Deiner Uraufführungen gewesen. Aber ehrlich gesagt hättest Du doch wenigstens versuchen können, uns Spuren Deiner Kompositionen zu hinterlassen! Aber sicher, es ist ein Unterschied, ob man Zeichen in Stein meißeln muss oder auf einer winzigen Terabyte Festplatte Millionen davon speichern kann. Vielleicht hast Du Deine erdachten Melodien und Rhythmen per Handzeichen an die Musiker vermittelt. Jedenfalls hast Du Musik erfunden, und das, lieber Kollege macht einen Komponisten aus. Von wegen Knietschoinkgrrrrrbäää! Ich weiß, ich habe zu viele Comics gelesen...

Manuela Kerer